Wetten, dass… …der Kandidat sich verletzt?

Der schlimme Unfall bei “Wetten-dass” vom 4. Dezember 2010 gibt Gelegenheit, den Mechanismus dieser “Wette” und das Verhältnis zwischen Kandidat und Sender/Veranstalter zu betrachten.

Gegen die guten Sitten

Bei “Wetten-dass” geht es darum, darauf zu wetten, ob der Kandidat eine vorgegebene Aufgabe (normalerweise innerhalb eines bestimmten Zeitraums) erfolgreich absolviert oder ob er scheitert. Das Wesen der Aufgabe, auf die gewettet wird, ist, dass ein Scheitern bei vernünftiger Betrachtung möglich und in gewissen Rahmen auch wahrscheinlich ist, sonst würde die Wette auf die Aufgabe keinen Sinn machen.

Ein Scheitern kann, je nach Aufgabe, verschiedene Folgen haben:

Geht es darum, innerhalb von 5 Minuten 5000 Kerzen auszublasen, mag der Kandidat scheitern, indem ihm die Luft ausgeht. Die Folge wäre vermutlich eine kurzzeitige Atemlosigkeit ohne größere Folgen.

Im Falle des Scheitern beim Überspringen von fünf fahrenden Fahrzeugen innerhalb von 4 Minuten, wie im vorliegenden Fall, sind die Möglichkeiten zu scheitern, ohne dabei körperlichen Schaden zu nehmen bereits auf zwei Möglichkeiten beschränkt:

  • der Kandidat bricht die Aufgabe vorher ab (startet garnicht).
  • der Kandidat ist zu langsam und überspringt weniger als 5 Fahrzeuge.
  • In allen anderen Fällen (ausrutschen, überfahren werden, stolpern, hinfallen, Kollision mit dem Fahrzeug etc.) besteht das Scheitern darin, dass der Kandidat “verunfallt”, mit der Folge mehr oder weniger großer körperlicher Schäden.

    Gernot Friedhuber, Gründer der “World Stunt Awards“ in bild.de am 6.12.2010: “Kein echter Stuntman hätte diese Wette gewagt. Denn: Bei so einem Sprung gibt es einfach keine Möglichkeit, jemanden zu schützen”.

    Im konkreten Fall war den beteiligten Seiten (Kandidat, Moderatoren respektive Verantwortliche des Senders) wohl bekannt, dass die wahrscheinlichste Ursache für ein Scheitern das “Verunfallen” ist. Michelle Hunziker und Thomas Gottschalk betonten bereits vorab und mehrfach die Gefährlichkeit der Aufgabe.

    In diesem Sinne kann die Wette, die von Otto Waalkes und Sara Nuru abgeschlossen wurde, wie folgt formuliert werden:

    “Ich wette, dass der Kandidat entweder nicht startet, zu langsam ist oder verunfallen wird, oder ich wette, dass er alle 5 Fahrzeuge überspringt.” (Anm: Beide haben auf einen Erfolg des Kandidaten gewettet)

    In Anbetracht der deutlich betonten erwähnten Gefährlichkeit der Aufgabe reduziert sich der Kern der Wette jedoch auf die Frage, ob der Kandidat “verunfallen” wird.

    Der Abschluss eine solchen, auf diesen Kern reduzierte Wette verstösst jedoch gegen jeden Anstand, gegen jede Moral, damit wohl auch gegen die guten Sitten und dürfte wohl auch im Rechtssinne sittenwidrid sein.

    Die Frage, ob dieser Stunt tatsächlich gefährlich ist, mag für den Laien erst im Nachhinein klar geworden sein. Die Moderatoren jedenfalls hatten klar mitgeteilt (vermutlich auch aus den Erkenntnissen bei den Proben) dass diese Aufgabe in besonderem Masse gefährlich ist und damit die Wette bereits im Vorfeld auf den sittenwidrigen Teil (”Verunfallung”) reduziert.

    Das Verhältnis zwischen Kandidat und Sender (ZDF)

    In diesem Zusammenhang zu betrachten ist ein weiterer Aspekt: Formal handelt es sich bei Sender und Kandidat um gleichberechtigte Partner. Tatsächlich ist der Verhältnis zwischen Sender und Kandidat jedoch nicht gleichberechtigt.

    Die Produktionsfirma bietet eine Öffentlichkeit, die für den Kandidaten (wie im vorliegenden Fall) unter Umständen einen Einstieg in eine Karriere als z. B. Stuntman bedeuten kann oder von der der Kandidat eine wesentliche Veränderung seines sozialen Status erwarten kann (Berühmtheit, Engagements etc.). Für diesen Vorteil erbringt der Kandidat eine Gegenleistung (Vorführen der Wett-Aufgabe). Dies ist in vielen Fällen noch kein Problem.

    Die Grenzen sind jedoch leicht erkennbar, wenn man sich das zugespitzte Beispiel folgender Wettaufgabe vor Augen hält: hätte “Wetten-dass” eine Chance, einen Kandidaten zu finden, der bereit wäre, einen mit nur einer Patrone geladenen Revolver gegen seinen Kopf zu halten und abzudrücken (russisches Roulette)?

    Man kann begründet vermuten, dass sich auch hier ein Kandidat fände.

    Sprich: “Wetten dass” ist de facto, und angesichts der enormen Verbreitung der Sendung (in auch den verlassensten deutschsprachigen Winkel) in der Lage, Kandidaten für nahezu jede beliebige Aufgabe zu finden. “Wetten-dass” kann Dinge von Kandidaten verlangen und Kandidaten zur Einreichung von Wettvorschlägen ermuntern, die diese üblicherweise nicht tun würden. Die Machtverhältnisse sind ungleich verteilt, weil “Wetten-dass” die Möglichkeit nutzt, aus Millionen Menschen genau diejenigen auszuwählen, die bereit sind, ein von “Wetten-dass” gewünschtes Risiko einzugehen. Selbst wenn man unterstellt, dass “Wetten-dass” nicht selbst das Risiko vorschreibt, sondern auf Eingaben von Kandidaten wartet, muss man davon ausgehen, dass durch die Publizität der Sendung und die damit verbundene grosse Anzahl der eingereichten Wettvorschläge für den Sender die freie Auswahl aus nahezu allen Risikoklassen möglich ist. Wenn jedoch, wie ich unterstelle, für “Wetten-dass” eine freie Auswahl aus allen Risikoklassen möglich ist, dann ist die Verantwortung für das entstehende Risiko nicht mehr dem konkreten Kandidaten, sondern nurmehr dem Sender zuzurechnen.

    Die Verantwortung für die Gefahrlosigkeit ist, wenngleich vermuteterweise nicht juristisch so doch tatsächlich, auf den Produzenten von “Wetten-dass” (ZDF) übergegangen. Diese Verantwortung wurde im konkreten Fall des Unfalls von Samuel Koch, in offensichtlicher Kenntnis der Gefahr, nicht wahrgenommen.

    Was zu wünschen wäre

    Wenn, wie oben erläutert, die Wette selbst sittenwidrig war, dann war aus meiner Sicht auch die Verpflichtung des Kandidaten zum Zweck des Wettens (auf seine “Verunfallung”) sittenwidrig.

    Wünschenswert wäre (nach hoffentlich baldiger Genesung!), dass der Kandidat den Versuch unternimmt, Schadensersatz zu erstreiten. Zu überdenken wäre, ob hier nicht sogar eine Strafe geahndet werden sollte. Ich halte es notwendig, dass unser Rechtssystem auf solche Fälle von Schuld (des ZDF, der Verantwortlichen des ZDF) in angemessener Form reagiert bzw. reagieren kann. Sofern, was ich vermute, aber nicht beurteilen kann, das Rechssystem mit den derzeitigen Gesetzen keine Ahndung zulässt (lt. eines BGH-Urteils ist die Teilnahme [==Anstiftung, Beihilfe etc.] an einer Selbstgefährung straflos), wäre aus meiner Sicht eine Änderung der rechtlichen Vorschriften (Gesetzesänderung) notwendig.

    Denn, wenn wie in diesem Fall Medien durch ihren Zugriff auf die Öffentlichkeit nicht nur in der Lage sind sondern es auch noch praktizieren: Menschen zu Handlungen zu motivieren, die sozialschädlich oder gar selbstzerstörerisch sind, dann ist die Grenze überschritten, an der die Medien selbst für die Kontrolle ihres eigenen Handelns zuständig sind.

    Martin Richter, 6. Dez. 2010

    Zu diesem Thema im Internet gefunden:
    Legal Tribune: Fernsehen / Recht
    Legal Tribune: Sensationsfernsehen

    Hinterlasse eine Antwort